von J.W. v. Goethe

„Zu Fuß hält die Seele Schritt. Gehen als Lebenskunst und Abenteuer“ von Achill Moser

Diese Sätze fielen mir ein, als ich in den letzten Tagen vom Mont Blanc abstieg. Ich hatte aufgrund des Wetters nur ein Viertel der Strecke von der letzten Hütte, dem Refuge du Gouter, bis zum Gipfel geschafft. Über 2.000 Höhenmeter war ich bereits aufgestiegen, und von den letzten 1.000 Metern fehlten mir noch knapp 700 Meter. Der Abstieg sollte beschwerlich werden, denn über Nacht hatte es geschneit, und die Schnee- und Eisgrenze war um einige hundert Meter gesunken. Der bisher fast schnee- und eisfreie Zugang zur Hütte war nur noch mit Steigeisen zu bewältigen.

Der Weg erschien mir fast völlig unbekannt. Zunächst führte ich dies auf den Schnee zurück. Als wir aber unter die Schneegrenze kamen und mir immer noch das vor mir liegende Wegstück meist völlig unbekannt vorkam, dämmerte es mir langsam: Ja, ich war hier gewesen. Vor drei Tagen war ich über diesen Steig aufgestiegen, hatte mich durch Schnee- und Geröllfelder und über Klettersteige hinauf bis zur Hütte ge“kämpft“. Ich war fokussiert an das Ziel „Mont Blanc“ herangegangen. Ich wollte es bis zum Gipfel schaffen, und dabei unterstütze mich der Gedanke an meinen jüngsten Sohn, der diese Tour mit mir zusammen und einem Bergführer unternommen hat. Ich wollte unsere Truppe nicht aufhalten, auch wenn sich das bei unserem Altersunterschied (18 Jahre/64 Jahre) kaum vermeiden ließ.

Ja, ich hatte beim Aufstieg einige wenige Fotos gemacht. Ich hatte auch von den zwei Hütten, bei denen wir Pause gemacht hatten, noch Erinnerungen präsent. Von dem Weg dazwischen hatte ich nicht die Spur einer Erinnerung mehr.

Ich war zu Fuß gegangen, und doch kam es mir vor, als sei ich noch nie wirklich da gewesen. Ich musste wie mit Scheuklappen unterwegs gewesen sein, schoss es mir durch den Kopf.

Die Besteigung des Mont Blanc war einmal ein Big Five for Life von mir gewesen. So lang, bis ich für mich entdeckte, das es nicht die Gipfel sind die mich reizen, sondern die Bewegung durch die Berge und Täler. Für meinen Sohn Clemens war der Mont Blanc allerdings ein Big Five for Life.

Als er sich wünschte, diesen zu besteigen, da war dies für mich eine Begegnung mit meinem eigenen, früheren Big Five for Life. Es war aber auch die Möglichkeit, ein anderes meiner Big Five for Life zu leben: „Urlaube mit der Familie“.

Der Mont Blanc war deshalb nur ein Ziel für mich. Und ich bin es gewohnt Ziele fokussiert anzugehen, und das umso mehr, als es hier um ein Big Five for Life von meinem Sohn ging.

Für uns beide, Clemens und mich, war Andreas, unser Bergführer ein „Wer“* und für meinen Sohn war auch ich ein „Wer“. Ich wollte ihn nicht behindern, und deshalb hatte ich beim Aufstieg nicht mein Ziel, nicht meinen Herzenswunsch im Auge, sondern seinen. Ich hatte beim Aufstieg nur einen Wunsch gehabt: anzukommen,  das Ziel zu erreichen.

Deshalb hatte ich vom Weg nicht viel mitbekommen obwohl doch das Zitat sagt: „Nur wo Du zu Fuß warst bist Du auch wirklich gewesen.“ Meine Haltung war auf erreichen und nicht auf erleben, auf „Ziel erreichen“ und nicht auf „Herzenswunsch erfüllen/erleben“ ausgerichtet.

Für mich ist dies ein wunderbares Beispiel für die Bedeutung, die die Haltung, aus der heraus wir etwas tun, für das was wir tun hat. Ich war gegangen, ich war zu Fuß unterwegs, aber ich war nicht offen für das, was um mich herumgeschah. Ich war fokussiert und hatte alle anderen Einflüsse versucht von mir fernzuhalten. Dir kommt das Bild von dem Pferd mit den Scheuklappen in den Sinn? Mir auch!.

Zu Fuß unterwegs zu sein ist gerade nicht die Haltung, wie es uns die Scheuklappe vermittelt, sondern die der Offenheit.  Wer zu Fuß geht sucht einen Einklang zwischen der Vielzahl der Eindrücke und der Möglichkeit, diese zu verarbeiten. Dieser Gedanke hat Achill Moser dazu veranlasst zu sagen: „Zu Fuß hält die Seele Schritt.“

Für mich bedeutet dies einmal mehr den innerlichen Abschied vom „Ziel“ zu nehmen und voller Freude ja zum „Herzenswunsch“ zu sagen. Ziel ist ein „terminus technicus“. Der Herzenswunsch drückt eine Haltung aus. Es geht einmal mehr um „erleben“ und nicht um „erreichen“.

Herzlichst Tilo Maria

*Mehr zu den „Wers“ in: „Safari des Lebens“ von John P. Strelecky, erschienen bei dtv, Kapitel 13 oder im Hörbuch, gelesen von Tilo Maria Pfefferkorn, Track 17 Hier geht es zum Shop!

© Tilo Maria Pfefferkorn, tmp@tilo-maria-pfefferkorn.com